Artículo
NUSO Nº Januar 2007

Der fragmentierte Caudillismo

Zusammenfassung | In der Regierung von Evo Morales treffen drei Tendenzen zusammen – der die ethnische Eigenständigkeit betonende Indigenismus, der Etatismus und der Populismus –, die über den Nationalismus als gemeinsamen Bezugspunkt und die einigende Führung des Präsidenten miteinander verbunden sind. Der Artikel vertritt den Standpunkt, dass letztlich die populistische Orientierung das stärkste Gewicht hat. Dass es sich dabei um eine politisch wenig klare Tendenz handelt, die sich mehr durch ihre Methoden als durch ihre Ziele definiert, hat verhindert, dass die Regierung einen klar umrissenen Kurs einschlagen konnte. Derzeit sieht sich Evo Morales den widersprüchlichen Pressionen immer mehr zersplitterter und verstreuter sozialer Gruppen und Bereiche gegenüber, und er läuft Gefahr, sein Heil im Caudillismus zu suchen. Das könnte zu einer instabilen und wenig demokratischen Regierung führen.

Der fragmentierte Caudillismo

Die drei Tendenzen der Movimiento al Socialismo

Wie kann man die Regierung von Evo Morales charakterisieren? Wohin geht sie? Welche Veränderungen strebt sie an und welches Zukunftsbild be-stimmt ihr Handeln? Ausgehend von der Analyse von Reden, Programmen und Entscheidungen stelle ich die Hypothese auf, dass innerhalb des Movimiento al Socialismo (MAS, Bewegung zum Sozialismus) mindestens drei Faktionen koexistieren, deren Interrelation eine Erklärung für das Wesen und die Orientierung der von Evo Morales geführten Regierung bietet.

Würde man die anfangs genannten Fragen den Führern der MAS und den Amtsinhabern der Regierung selber vorlegen, dann würde man sicher verschiedene und nicht notwendigerweise übereinstimmende oder miteinander vereinbare Antworten erhalten.

Eine wichtige Gruppe, deren auffälligster Kopf der Außenminister David Choquehuanca ist und der wahrscheinlich die Mehrzahl der Aymaraführer angehören, vertritt das Ziel der »demokratischen und kulturellen Revolution« und der Entkolonialisierung. Diese Gruppe hat ihre Wurzeln in der indigenen kataristischen Bewegung, die in den 70er Jahren unter den Aymara-Campesinos des Hochlandes im Kampf gegen die Vormundschaft durch das Militär entstand.

Eine andere Gruppe, als deren wichtigster Vertreter vielleicht der Vizepräsident Álvaro García Linera gelten kann, definiert den gegenwärtigen politischen Prozess als einen Übergang zum Sozialismus und legt den Akzent auf die Notwendigkeit der Ausweitung und Stärkung der staatlichen Intervention in der Wirtschaft, um die natürlichen Ressourcen als Akkumulationsgrundlage für eine unabhängige Industrialisierung zu nutzen. Diese Gruppe rekrutiert sich aus der alten etatistischen Linken und versammelt marxistische Ideologen ebenso wie Technokraten, die für die Reindustrialisierung und Wiederauflage der Importsubstitution eintreten, wie sie in den 50er und 60er Jahren von der Comisión Económica para América Latina (Cepal, Wirtschaftskommission für Lateinamerika) gefordert worden war.

Schließlich würde die dritte Gruppe, in erster Linie von Evo Morales selbst vertreten, von »einer Regierung der sozialen Bewegungen« sprechen und damit die maßgebliche Rolle der gesellschaftlichen Basisorganisationen, insbesondere der Bauerngewerkschaften und der Nachbarschaftsvereinigungen in den Vorstädten, ebenso hervorheben wie die besondere Sensibilität, mit der der Präsident auf die Forderungen der Basis eingeht.

Diese drei Tendenzen, die wir mit den Begriffen indigenistisch, etatistisch und populistisch kennzeichnen können, stehen unter einer gemeinsamen Leitidee, dem Nationalismus als der traditionellen Bezugsgröße der lateinamerikanischen Linken sowie der Freundschaft mit und der politischen Sympathie für den Venezolaner Hugo Chávez. Der Nationalismus überwölbt diese drei Tendenzen, aber was sie in Wirklichkeit vereint und ihnen Ausdruck verleiht, ist die Führungsrolle von Evo Morales. Seine symbolische Kraft nahm in dem selben Maße zu, wie sich die seiner Gegner, von ihm die »traditionellen Politiker« genannt, verringerte. Und diese Tendenz hat sich seit seiner Machtübernahme noch verstärkt.

Bislang sind diese drei Gruppierungen ohne größere Schwierigkeiten miteinander ausgekommen, weil sich ihr Wirkungskreis, ihre Programme und Aktivitäten nicht überschnitten.

Die indigenistische Strömung bewegt sich vor allem im Symbolischen. Sie hat einen wichtigen Stellenwert im Diskurs des Präsidenten und im Bild, das man sich im Ausland von der Regierung macht. Es ist kein Zufall, dass David Choquehuanca das Außenministerium erhielt und dass Evo Morales, der niemals Teil der indigenen Bewegungen war und deshalb kritisiert wurde, als er seine Aktivitäten auf die gewerkschaftlichen Forderungen der Kokabauern konzentrierte, sich zu einer symbolischen, sorgfältig für die internationalen Medien inszenierten Amtsübernahme in Tiwanaku entschloss.

In praktischer Hinsicht scheint die indigenistische Gruppe sich auf die Verfassungsgebende Versammlung sowie die Massenmedien der Regierung und die lokalen Medien zu konzentrieren. Man darf nicht vergessen, dass sich die Regierung, auch durch die Bereitstellung finanzieller Mittel, aktiv für die Schaffung eines Netzes von Rundfunksendern in ländlichen Gebieten eingesetzt hat. Man kann also sagen, dass das Betätigungsfeld der indigenistischen Gruppe der Diskurs und die symbolische und kulturelle Sphäre ist.Die etatistische Gruppierung hat ihren Aktionsradius dagegen in der Verwaltung und der Politikgestaltung. Praktisch könnte man sagen, dass alle Minister des Wirtschaftsressorts dieser Tendenz angehören. Sie sind es, die den »Neuaufbau« der Staatsbetriebe fördern. Sie haben einen gewissen Pragmatismus bewiesen, z.B. in der Geldpolitik oder sogar bei den fossilen Brennstoffen, wo die Verstaatlichung hauptsächlich aus neuen Verträgen mit den bereits in Bolivien tätigen Energieunternehmen bestand. Trotzdem sind ihre Ziele häufig ideologisch geprägt, so z.B. der Plan zur Ersetzung der Stahlimporte, die staatliche Kontrolle der Telekommunikation oder der Umgang mit »strategischen« Wirtschaftssektoren wie den Zinnminen. Diese Strömung hat eine besondere Stellung im Kabinett, verfügt aber auch über beträchtlichen Rückhalt im Kongress, insbesondere im Senat.

Während die Indigenisten den Diskurs bestimmen und die Symbolik verwalten, die Etatisten die Wirtschaft lenken und die Politik gestalten, besetzen die Populisten die Straße und sind es letztlich, die über Orientierung und praktischen Erfolg sowohl des Diskurses als auch der Politik entscheiden. Die populistische Strömung umfasst die Basisorganisationen, nimmt einen bedeutenden Raum in der Regierungspartei ein und verfügt über eine starke Präsenz im Kongress, in der Verfassungsgebenden Versammlung und im Kabinett.

Aber diese dritte Tendenz definiert sich nicht durch ihre politische oder ideologische Ausrichtung, sondern durch ihre Methode – die Basisorientiertung. Ihr Grundprinzip, das der Präsident häufig anführt, ist die Parole »Volkes Stimme ist Gottes Stimme«. Das Volk sind natürlich die gesellschaftlichen Basisorganisationen, die die Bevölkerung mobilisieren und sich als solche definieren, und ihre Stimme wird umso mehr gehört, je lautstärker ihre Aktionen sind. Die Dominanz der populistischen Tendenz bei der Regierungsbildung ist eine Erklärung für die Kursschwankungen und gelegentlichen Widersprüchlichkeiten der Regierung Morales in ihren ersten fünfzehn Monaten.

Kursbestimmung

Einige Monate nach dem Beginn der Regierung der MAS wurde der Plan Nacional de Desarrollo (Nationaler Entwicklungsplan) mit dem Namen Para Vivir Bien (Um gut zu leben) verabschiedet und veröffentlicht. Der konzeptionelle Ansatz des »guten Lebens«, so wurde damals erklärt, unterscheide sich von dem der Entwicklung und sei unabhängig vom Wirtschaftswachstum. »Wir wollen nicht besser leben, wir wollen einfach nur gut leben«, erklärte einer der Regierungsvertreter die Initiative, und kritisierte damit Marktorientierung und den obsessiven Materialismus der Entwicklungstheorien. Zugleich aber sahen die wirtschaftlichen Vorgaben des Plans höhere Wachstumsraten und ausländische Investititonen in einem Umfang vor, wie es sie in Bolivien noch nie gegeben hat. Kein Wunder, dass von dem Plan gerade mal die Losung »gut zu leben« übrig geblieben ist – und die bereits zu einem Bestandteil der offiziellen Diskussion und Propaganda wurde.

Ein anderes, zweifellos dramatischeres Beispiel für Unschlüssigkeiten ist das des Huanuni, der traditionellen Bergbauregion. Der wichtigste Anführer der Bergarbeitergenossenschaften wurde als Minister in das erste Kabinett von Morales berufen, und es wurde versprochen, die genossenschaftliche Organisation des Sektors zu konsolidieren. Aber nachdem es im Oktober 2006 wegen der Kontrolle über die Erzadern am Berg Posokoni zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Genossenschaftlern und lohnabhängigen Bergleuten gekommen war, wurde der Minister durch einen Anführer aus dem entgegengesetzten Gewerkschaftslager ersetzt. Dieser erklärte seine Absicht, die Genossenschaften in dem Gebiet vollständig abzuschaffen und legte ein Programm für die Übernahme aller Bergleute als abhängig Beschäftigte in die staatliche Gesellschaft Comibol vor.

Aber »Volkes Stimme« ist nicht nur diejenige aus den unteren Gesellschafts-schichten. Sie kann auch die bestimmter lokaler Eliten sein, wie im Falle von Mutún, einem gigantischen Eisenerzlager im Südwesten Boliviens, an der Grenze zu Brasilien. Die Regierung Morales annullierte eine Ausschreibung, verfügte die Ausweisung eines brasilianischen Unternehmens, das in der Freihandelszone von Puerto Suárez mit dem Aufbau von Hochöfen begonnen hatte, und veranlasste eine neue Ausschreibung. Angesichts des Ausbleibens von Bewerbern nahm die Regierung Verhandlungen mit einer indischen Gesellschaft, Jindal Steel & Power, auf. Dieser versprach sie indirekte Subventionen über Differentialtarife für Gas nahe des Gesamtbetrags, den der Staat aus Lizenzen, Steuern und Nutzungsrechten vereinnahmen kann. In diesem Falle stieß der Protest der regionalen Bürgerinitiativen auf den ideologischen Widerstand der etatistischen Gruppe in der Regierung, die sich die nationale Industrialisierung mit der Eisen- und Stahlindustrie von Mutún beginnen will, auch wenn diese sich wirtschaftlich nicht rechnet.

Im Gegensatz zu ihrer sonstigen Argumentation gegen die Präsenz ausländischer Firmen, mit denen die Regierung ihre Verstaatlichungen rechtfertigt, verteidigte sie sich im Fall Jindal damit, dass die Firma aus der »Dritten Welt« stamme, es sich also um eine Süd-Süd-Kooperation handle. Das gleiche Argument hatte dagegen der ausgewiesenen brasilianischen Gesellschaft nicht genützt. Wir ordnen diese Sonderbehandlung des indischen Unternehmens der etatistischen Gruppierung zu, weil diese die Subventionen als Staatsinvestitionen für ein vermeintlich höheres Ziel rechtfertigt – in diesem Falle die Schaffung einer Stahlindustrie, wie sie, man erinnere sich, die Gallionsfigur der sozialisti-schen Modernisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war.

Die auffälligsten Kursschwankungen ergaben sich jedoch bei der Verstaatlichung der Energieressourcen, dem Lieblingsprojekt der Regierung Morales. Per Dekret verfügt, bestand die Verstaatlichung in der Enteignung der Aktien, die der Staat für die Zahlung des Bonosol treuhänderisch den Administradoras de Fondos de Pensiones (AFP, Rentenfondsverwaltungen) übergeben hatte, sowie in einer Veränderung des Steuersystems über neue, mit den Unternehmen direkt auszuhandelnde Verträge. Bei der Vertragsverhandlung hoffte man, sich auf Wirtschaftsprüfungen stützen zu können, die den Unternehmen die Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen nachweisen sollten. Die Frist dafür war jedoch zu kurz und die Verhandlungen wurden übereilt geführt. Als am 28. Oktober 2006, dem im Dekret festgesetzten Stichtag, die Unterzeichnung der neuen Verträge im Fernsehen übertragen wurde, waren die Dokumente Papiere ohne rechtlichen Wert. Die Verträge wurden schließlich zu einem späteren Zeitpunkt unterzeichnet, und einige wurden noch lange nach der ursprünglichen Frist verhandelt. Trotzdem betrachteten die Unternehmen die neuen Verträge als gültig und erwarteten ihre Bestätigung durch den Kongress sowie die notarielle Beurkundung, die sie in Kraft setzen soll.

Aber das war nicht so leicht. Da sich die Opposition dem Druck der Movimiento Sin Tierra (Bewegung der Landlosen) entziehen wollte und den Senat ohne Quorum zur Abstimmung einer Reform des Bodenrechts ließ, ergriff die in dieser Kammer in der Minderheit befindliche Regierungspartei die Gelegenheit und ernannte zwei nachrückende Senatoren. Mit deren Stimmen wurde nicht nur das Bodengesetz modifiziert, sondern es wurden auch die Erdölverträge und verschiedene andere Abkommen mit Venezuela ratifiziert.

Jedoch erfuhr man wenig später, dass die Verträge trotz der Annahme im Senat nicht beurkundet werden konnten, da die von den Unternehmen unterzeichneten Originale und die im Kongress verabschiedeten Texte an zahlreichen Stellen nicht übereinstimmten. Nicht nur in Bezug auf die Namen von Förderstätten und Unternehmen, sondern sogar der Inhalt einiger Anhänge, was mangelnde Sorgfalt bei der Behandlung der Angelegenheit offensichtlich machte.

Die Opposition nutzte die Gelegenheit zur Eröffnung einer Untersuchung über die Verträge und das Verhandlungsverfahren. Es stellte sich heraus, dass die Verträge von einer US-amerikanischen Firma vorbereitet worden waren, deren Honorare mit venezolanischen Geldern bezahlt worden waren, und dass an dem gesamten Vorgang weder der Energieminister Carlos Villegas noch der Vorstandsvorsitzende der Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos (YPFB, Staatlichen Bolivianische Erdölgesellschaft), Juan Carlos Ortiz, und noch der Vorstand der Gesellschaft beteiligt gewesen waren, der lediglich einen allgemeinen Entwurf des Vertrags zur Kenntnis genommen und genehmigt hatte.

Hinsichtlich des Vertragsinhalts konzentrierte sich das Interesse der Regierung auf die Abschöpfung eines größeren Anteils an den Einnahmen. Das ist, wie es scheint, gelungen, denn in 10-Jahres-Prognosen wird geschätzt, dass die Beteiligung des Staates an den Einnahmen ab Förderstätte 68 bis 73 Prozent erreichen wird. Allerdings wird der Energiesektor durch diese Einnahmen-erhöhung anfälliger für Preisschwankungen und Anreize für Investitionen in Exploration und den Ausbau der bestehenden Produktionskapazitäten werden vermindert. Und dies, obwohl die Ölgesellschaften praktisch von allen Risiken befreit wurden und ihre Investitionen in sehr kurzen Zeiträumen amortisieren können.

Bei der Verstaatlichung – oder der Neugestaltung der Verträge – kam es zu starken Spannungen mit Brasilien, dem größte Abnehmer bolivianischen Erdgases und Hauptaktionär des wichtigsten Anlagenbetreibers und Investors in Bolivien, Petrobras. Die Konflikte wurden schließlich beigelegt, aber Brasilien hat klar signalisiert, dass es nicht vom bolivianischen Gas abhängig werden will und konzentriert seine Investitionen im Energiebereich auf sein eigenes Territorium. Dabei setzt es auf andere Bezugsquellen von Gas und den Einsatz von Biobrennstoffen. Die bolivianische Regierung reagierte darauf mit einer Annäherung an Argentinien und hat mit diesem eine Vereinbarung zur Ausweitung der Gaslieferungen getroffen. Dabei wird die Erdölfirma Chaco bevorzugt behandelt, an der argentinische Konzern Bridas über die Pan American Energy, ein joint venture mit British Petroleum, beteiligt ist.

Erste Resultate

Wenn auch die Zukunft des Öl- und Gassektors insgesamt kaum voraussehbar ist, ist seine Bedeutung jedoch derzeit für die bolivianische Wirtschaft sehr groß und wird es die nächsten 20 Jahre noch bleiben – auch wenn die Investitionen für die Exploration zurückgehen, wie bereits zu beobachten ist.

Über viele Jahre stagnierten die bolivianischen Exporte um eine Milliarde Dollar, und es schien sehr schwer, diese Barriere zu überwinden. Aber zwischen 2003 und 2006 haben sie sich verdreifacht und erreichten mehr als 4,2 Mrd. Dollar. Diese Zahl erklärt sich aus dem Preisanstieg bei Erzen und anderen Rohstoffen ebenso wie aus der Ausweitung des Exportvolumens, besonders von Erdgas. Letzteres erbrachte 2006 fast 44 Prozent des Gesamtwerts der bolivianischen Exporte (s. Abbildung 1).Bei der neuen Abschöpfungspolitik von Einnahmen aus dem Energiesektor werden die Staatseinnahmen ebenfalls überproportional zunehmen, wie Abbildung 2 zeigt.

Die Höhe der Einnahmen ermöglichte es, das chronische Haushaltsdefizit Boliviens zu überwinden, was wegen der Kosten der Rentenreform bisher sehr schwierig war. So wurde schließlich in der Bilanz von 2006 zum ersten Mal seit vielen Jahren ein Überschuss von mehr als fünf Prozent des BIP ausgewiesen. In dieser Situation konnte die Regierung die politische Geste vollziehen, auf einen Standby-Kredit des Internationalen Währungsfonds zu verzichten, ohne den es zuvor fast unmöglich gewesen war, die Lücke zu schließen.

Der Erfolg dieser Politik wird jedoch davon überschattet, dass jetzt der größte Teil der öffentlichen Einnahmen von Exporterträgen abhängt und damit das Finanzierungsrisiko zunimmt. Zudem haben die Steuerzahler weniger Anreize, ihren Verpflichtungen nachzukommen und die Finanzbehörden, sie zu kontrollieren. Nur 16 Prozentpunkte der Steuereinnahmen in Höhe von 42,7 Prozent des BIP stammten 2006 aus der Binnenwirtschaft. Der Verteilungskampf

Die Komplikationen, die dieser Steuersegen in einer traditionell hoch subventionierten Gesellschaft wie der bolivianischen auslöst, sind beträchtlich.Die von weiten Teilen der Bevölkerung geteilte Überzeugung, natürliche Ressourcen seien die Hauptquelle des Reichtums, die seit langenm etablierte Funktion des Staats als Vermittler in der Einkommensverteilung und die damit einhergehende Tradition von »Verstaatlichungen« führen zu einer Intensivierung der Aktionen seitens der korporativen Interessen, um sich durch Druck auf die staatlichen Stellen einen Teil dieser Mitteln zu sichern.

Allerdings ist dies nicht die einzige Erklärung des Gruppenverhaltens. In Abbildung 3 wird die durchschnittliche Konfliktanzahl pro Monat während der Regierungenperioden der jetzigen demokratischen Ära dargestellt. Wie man sieht, war die Tendenz während der ersten vier Regierungen, die dann die Macht an die Opposition übergaben, abnehmend. Unter Hugo Banzer kehrte sich die Tendenz um und es wurde ein Höhepunkt in der Amtszeit von Carlos Mesa erreicht. Dessen Handlungsfähigkeit war in einem solchen Maße eingeschränkt, dass er zurücktreten musste. Nach einem leichten Rückgang der Konflikte während der Regierung von Eduardo Rodríguez Veltzé, die im wesentlichen nur die Aufgabe hatte, Neuwahlen einzuberufen, ist seit der Machtübernahme von Evo Morales erneut eine ansteigende Tendenz zu verzeichnen. Tatsächlich beträgt die Anzahl der Konflikte pro Monat in den ersten Monaten seiner Regierung bei durchschnittlich 38,5 und damit über der fast aller früheren Regierungen, ausgenommen derer von Siles Zuazo und Mesa.

Die durchgezogene Linie stellt in der Abbildung dar, wie sich die Wahr- scheinlichkeit entwickelt, dass die von den Organisatoren der Konflikte angestrebten Ziele erreicht werden. Diese Wahrscheinlichkeit hat natürlich Auswirkungen auf das Gruppenverhalten insgesamt. Je höher die Erfolgsaussichten sind, desto größer auch die Anreize für die Gruppen, sich bei ihren Gegnern Aufmerksamkeit zu verschaffen und ihre Forderungen vorzubringen. Wie man sieht, nahm die Wahrscheinlichkeit von erfolgreichen Konflikten zwischen den Regierungen Siles Zuazo und Sánchez Lozada ab, um dann unter Banzer plötzlich anzusteigen und seither eine klare Aufwärtstendenz beizubehalten.

Es passt zu der in der Regierung Morales vorherrschenden populistischen Tendenz, dass in seiner Amtszeit die Erfolgswahrscheinlichkeit für Konfliktbewegungen um fast 45 Prozent zunahm, ähnlich wie dies zur Zeit von Siles Zuazo der Fall war. Vergleicht man beide Regierungen, ist der Hauptunterschied die Unterschiedliche Fähigkeit, auf die Forderungen einzugehen. Der Regierung Siles fehlten die finanziellen Mittel und sie hatte aufgrund steigender Zinszahlungen auf die Auslandsschulden sowie infolge von Naturkatastrophen eine tiefe Wirtschaftskrise durchzustehen. Die Regierung Morales hingegen verfügt über reichliche Mittel – hauptsächlich aus den Gasexporten und aus Schuldennachlässen – und das vermittelt sie ihren Anhängern auch. Es kann also erwartet werden, dass Häufigkeit und Intensität der sozialen Konflikte weiter zunehmen werden.

Die organisierten Gruppen identifizieren sich stark mit Evo Morales und seiner Regierung. Die Rhetorik des Präsidenten bestärkt diese Wahrnehmung, womit die Intensivierung der Konflikte nicht überrascht. Natürlich geht es dabei zumeist nicht um Bewegungen gegen die Regierung, sondern verschiedene pressure groups konkurrieren darum, beim Präsidenten Gehör zu erlangen und auf seine Regierung Einfluss zu nehmen. Auch wenn sich diese Mobilisierungen nicht gegen die Regierung richten, engen sie doch den Handlungsspielraum des Präsidenten in den unter gesellschaftlichem Druck stehenden Politikfeldern ein.

Die fragmentierte Macht

Zu Beginn haben wir darauf hingewiesen, dass, während die indigenistische Gruppierung die Symbolik verwaltet und die etatistische die Wirtschafts-politik, in Wirklichkeit die populistische Gruppe in der Regierung die Richtungen bestimmt. Richtungen – im Plural – , weil sich, wie wir bei der Analyse der Widersprüche gezeigt haben, bei einigen politischen Schlüsselentscheidungen tatsächlich viele Richtungen ergaben. Dieser Richtungspluralismus resultiert daraus, dass die populistische Gruppierung selber keinen präzisen Kurs vertritt, sondern die vielfachen Orientierungen aus den Basisbewegungen absorbiert und übernimmt. Was die Basisbewegungen der letzten Jahre kennzeichnet, ist das Fehlen eines klar definierten politischen oder ideologischen Kurses. In der Vergangenheit versteckte sich das rent-seeking der Verbände zumindest noch hinter einer nationalistischen und revolutionären Rhetorik, für die vor allem die Central Obrera Boliviana (COB, Bolivianischer Gewerkschafts-verband) stand.

Die Fragmentierung der kollektiven Aktion drückt sich auch in der wachsenden Zahl von Akteuren aus, die spontan auf die Straße gehen, für die ver-schiedensten Anliegen - von elementaren Dingen, wie der Versorgung mit Flüssiggas zum Kochen, bis zu weitreichenden Problemen wie globaler Erwärmung oder Klimawandel. Betrachtet man die Bevölkerungsgruppen, die mit den jeweiligen Forderungen auftreten, ist ein Übergewicht der Mittelschicht festzustellen. Wie so oft, ist sie »das Volk«, das man am meisten hört und am meisten sieht. Sie verfügt über Geld, Erfahrung und die Fähigkeit, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Zwar hat ihre Präsenz bis zum Beginn der Regierung Morales tendenziell abgenommen, sie nimmt aber jetzt nach und nach wieder einen zentralen Platz auf der gesellschaftlichen Bühne ein. Gleichzeitig tritt das Proletaria relativ wenig in Erscheinung. Die Arbeiter-schaft, die der politischen Landschaft in der Vergangenheit ihren Stempel aufdrückte, hat kontinuierlich an Einfluss verloren. Dagegen erscheinen die einkommensschwachen Schichten der Städte – man könnte sagen an ihrer Stelle – und diejenigen, die wir die »Bürger allgemein« genannt haben: eine große Vielfalt von Gruppen, die sich häufig um eine Augenblicksforderung herum zusammentun und keine organisatorische Struktur haben – Stadtteilkommitees, Nachbarschaftsvereinigungen, Bürgerausschüsse, usw.

Insgesamt ergibt sich als zentrales Ergebnis, dass sich ein wichtiger Wandel vollzogen hat. Anstelle des Vorherrschens weniger Gruppen gibt es heute ein breiteres Spektrum von Akteuren, das die bereits angesprochene Fragmentierung belegt.

Die Daten zu den Partizipationsformen der Konfliktbeteiligten zeigen über-einstimmend, dass zunehmend Protestformen überwiegen, die eine aktive Mitwirkung der Akteure erfordern. Dies ist wichtig. Die Konflikte mit passiver Mitwirkung erfordern, dass der Beteiligte das Anliegen dadurch unterstützt, dass er aufhört, das zu tun, was er üblicherweise tut – wie dies für einen Streik typisch ist. Es handelt sich um einen Vorgang, der, auch wenn von öffentlicher Relevanz, in einem privaten Raum, wie einer Fabrik oder einem Büro, stattfinden kann. Im Gegensatz dazu erfordern Konflikte mit aktiver Mitwirkung, dass der Beteiligte etwas vom Üblichen Abweichendes tut – wie die Blockade einer Straße, ihre Vereinnahmung für eine Demonstration, die Besetzung eines Raums usw. Dies sind also öffentliche Handlungen, die vorzugsweise im öffentlichen Raum stattfinden und fast immer eine Aktion einschließen, die sich auch auf Dritte auswirkt und nicht nur auf die direkten Gegner und Ansprechpartner. Insofern sind die Konflikte mit aktiver Mitwirkung spannungsgeladener und tendieren eher zur Gewalt. Tatsächlich beinhalten sie auch schon etwas Gewalt, da sie auf unbeteiligte Dritte einzuwirken versuchen, um die Aufmerksamkeit des eigentlichen Gegners oder Entscheidungsträgers zu erlangen.

Abbildung 4 zeigt klar, dass sich die Tendenzen umgekehrt haben und in den letzten Jahren die aktiven Koflikte überwiegen. Dies entspricht auch der sozialen Situation der mobilisierten Akteure. Da sie in ihrer Mehrzahl Gruppen kleiner, unabhängiger Produzenten in städtischen oder ländlichen Gebieten, Nachbarschaftsvereinigungen und ganz allgemein Bürger sind, können sie ihre Forderungen oder ihren Protest nicht im relativ isolierten und vertrauten Umfeld ihrer täglichen Aktivitäten vortragen und tendieren deshalb dazu, aus diesem Umfeld herauszutreten und sich in öffentlichen Räumen zu artikulieren.

Im Allgemeinen ist die Tendenz zur sozialen Fragmentierung und zur direkten Aktion nicht mit der gegenwärtigen Regierung entstanden, sondern ging ihr voraus – man könnte sagen, dass sie deren Ursprung waren. Aus genau diesem Grunde fühlt sich ein so hoher Anteil der Bevölkerung von Evo Morales glaubwürdig vertreten und scheint zum jetzigen Zeitpunkt an Alternativen noch nicht einmal zu denken. Die enorme Unterstützung, die ihn bis zur Präsidentschaft führte, hat leicht abgenommen, aber seine relative Stärke ist heute größer als zur Zeit der Wahlen im Dezember 2005, weil jene Teile der Gesellschaft, die die Richtung der gegenwärtigen Regierung nicht billigen und die man als Opposition verstehen könnte, das Vertrauen in andere politische Führer verloren haben. In dieser Dynamik ist die Polarisierung sehr hoch und wird mit solcher Intensität wahrgenommen, dass sie sogar die Partei-gänger von Morales beunruhigt.

Die Zuflucht zum Caudillismo

Zu Beginn dieses Essays haben wir von der Koexistenz dreier Tendenzen gesprochen, die nicht notwendigerweise miteinander kompatibel sind, aber durch die gemeinsame Bezugnahme auf den Nationalismus und vor allem durch die zunehmende Bedeutung der Führung von Evo Morales geeint werden. Ganz abgesehen von persönlichem Charisma ist die Personalisierung einer Führung nicht nur aus den Eigenschaften der Person zu erklären, sondern sie ist auch ein soziopolitisches Produkt. In diesem Falle ist sie das Ergebnis der wechselseitig zerstörerischen Beziehungen unter den so genannten »traditionellen Parteien« sowie aus den Schwierigkeiten bei der Institutionalisierung der MAS, einer Partei, die aus dem Spagat zwischen von sozialer Unzufriedenheit hervorgerufenen Mobilisierungen und wachsenden Erwartungen auf schnelle wirtschaftliche Vorteile hervorgegangen ist.

Die Schwächung der Institutionen, noch verschärft durch eine Verfassungsgebende Versammlung, die das Land vermeintlich neu erfinden und seine Geschichte ungeschehen machen soll, schafft eine Vakumm, das durch persönliche Führungsqualitäten gefüllt werden muss. Aber diese vom »revolutionären« Eifer der eigenen Regierung noch geförderte Schwächung gibt es vor allem in den zentralen Staatsorganen. Ihr gegenüber steht die in der republikanischen Geschichte Boliviens neue Stärkung der regionalen Verwaltungsebenen, der Präfekte und Bürgermeister, die gleichzeitig mit der Wahl von Morales zum Präsidenten zum ersten Mal direkt gewählt wurden.Wir treffen damit auf die komplexe Situation einer mit 53 Prozent der Stimmen gewählten Regierung, die aber faktisch weniger Macht hat, als z.B. die von Paz Estenssoro. Er wurde 1985 nach einem zweiten Wahlgang vom Kongress gewählt, nachdem er in der Direktwahl mit 27 Prozent der Stimmen nur Zweiter geworden war. Trotz dieser Schwäche gelang ihm die volle Kontrolle über einen Staat, obwohl dieser in einer tiefen Krise steckte, da alle Verwaltungsebenen und ein wesentlicher Teil der Wirtschaft, der Investitionen und des Arbeitsmarktes zentralisiert waren. Morales wurde mit 53 Prozent der Stimmen und ohne Intervention des Kongresses gewählt, aber das Gesetz zwang ihn, diejenigen zu Präfekten zu ernennen, die die meisten Stimmen in den Departments gewonnen hatten – egal ob sie ihm gefielen oder nicht. Er konnte auch keinen der 324 Bürgermeister ernennen, die über einen bedeutenden Teil der Steuermittel verfügen. Und schließlich besitzen die Staatsbetriebe, die in den 80er Jahren die öffentlichen Aufträge und den öffentlichen Arbeitsmarkt kontrollierten, heute ein unabhängiges Management, da sie ausgegliedert, privatisiert oder in Kapitalgesellschaften umgewandelt wurden.

Der in Bolivien erreichte Dezentralisierungsgrad erfordert ein hohes Maß an politischer Konzertierung und lässt nur allmähliche Veränderungen zu. Dies steht jedoch im Gegensatz zur Ungeduld der Wähler und der Regierungsmannschaft selbst. So kam es gleich nach der Amtsübernahme von Morales zu Spannungen, insbesondere mit den Präfekten, die – zu Recht – von der Regierung als potenzielle Rivalen bei künftigen Wahlen betrachtet werden. Die Präfekten sind politisch sehr exponiert – mehr als die Bürgermeister – und haben beträchtliche Möglichkeiten, über die lokale Sphäre hinaus bekannt zu werden, was bei einigen bereits der Fall ist. Damit waren diese Spannungen vorprogrammiert.

Die Opposition hat sich geschlossen hinter die Forderung nach regionaler Autonomie gestellt. Tatsächlich haben einige der Präfekten einen Junta Nacional Autonómica (Nationalen Ausschuss für Autonomie) gegründet. Er hat zum Ziel, die Ergebnisse des Autonomiereferendums umzusetzen, das gleichzeitig mit der Wahl der Delegierten für die Verfassungsgebende Versammlung abgehalten wurde, und versucht, die Opposition gegen die Regierungspolitik um sich zu sammeln. Und obwohl das Risiko besteht, dass die Autonomieforderungen sich in der Defensive verschanzen, bilden sie doch eine politische Dimension mit hohem Konfliktpotenzial, wie man im Januar 2007 in Cochabamba sehen konnte.

Im Jahre 2002 hatte sich der gegenwärtige Präfekt von Cochabamba, Manfred Reyes, als Präsidentschaftskandidat beworben und lag nur knapp hinter Evo Morales, der damals Zweiter wurde. In den Wahlen von 2005 gewann er die Präfektur mit einem ganz hervorragenden Wahlergebnis, wenn man berücksichtigt, dass sich in Cochabamba die Region El Chapare befindet, eine Hauptbastion von Morales. Im Dezember 2006 entschied sich Reyes zum Anschluss an die von den Präfekten von Santa Cruz, Beni und Tarija angeführte Autonomiebewegung. Wenig später geriet er unter Druck der Departmentsabgeordneten, deren Mehrzahl zur MAS gehört und denen sich nach und nach auch Gruppen von Bauern aus Chapare anschlossen. Die Mahnwachen und Demonstrationen mit der Forderung nach einem Rücktritt des Präfekten nahmen zu, bis sie im Januar 2007 noch aggressiver wurden und es auf Konfrontation anlegten. Eine Demonstration von Bauern gegen den Präfekten wich von der vorgesehenen Route ab, um das Regierungsgebäude zu besetzen, das teilweise in Brand gesetzt wurde, während die Polizei von der Zentralregierung erneut angewiesen war nicht einzugreifen. Eine weitere, von dem Präfekten nahe stehenden Kräften organisierte Demonstration musste aufgelöst werden, da Zusammenstöße mit den Bauern drohten, die den Versammlungsort besetzt hatten. Dieser Gewaltakt provozierte eine massive Gegenreaktion und am folgenden Tag, dem 11. Januar, wurde eine Massenveranstaltung zur Unterstützung des Präfekten durchgeführt, bei der Straßen und Plätze besetzt wurden. Es kam zu gewaltsamen Zusammen-stößen, bei denen zwei Menschen ums Leben kamen und mehr als 200 verletzt wurden. Einer der Toten, ein 17jähriger, wies die Merkmale eines Lynchmordes auf, denn er wurde während der Behandlung einer Verletzung durch einen Arzt entführt und mit Knüppeln und Macheten ermordet.

Die erste Reaktion der Regierung bestand darin, den Druck durch die Mobilisierung einer wachsenden Zahl von Bauern noch zu intensivieren, so sollte die städtische Bevölkerung von Cochabamba eingeschüchtert werden, die sich hinter den Präfekten gestellt hatte. Als alles auf den Ausbruch neuer Gewalttaten hinzudeuten schien, kamen die Anführer der Bauernbewegung zu der Einsicht, dass es nicht gut sei, die Lage zuzuspitzen, und vermieden einen Angriff auf die Präfektur. Aber die Ereignisse in Cochabamba haben im Land eine ebenso tiefe Spur hinterlassen wie die Massenversammlungen in Santa Cruz. Bei allen diesen Vorfällen sprach die Straße, die bis dahin allein den dem Präsidenten wohl gesonnenen Organisationen zu gehören schien. Und es zeigte sich, dass die städtische Bevölkerung nicht einfach zurückweichen würde.

Vor diesem Panorama, das ein Anlass dafür sein sollte, Grenzen des »Neugründungs«projekts zu erkennen und den Kurs einer schrittweisen, konzertierten Demokratisierung wieder aufzunehmen, könnte sich die Regierung jedoch für das Gegenteil entscheiden. Einerseits könnte sie versuchen, das alte zentralistische System mit dem Staat als Unternehmer und geschwächten Departments- und Kommunalverwaltungen wiederherzustellen, und andererseits das Caudillo-Potenzial von Evo Morales herausstellen, um die Macht auf ihn zu konzentrieren und ihn, unter Einsatz der Gasressourcen und internationalen Zuwendungen, zum Zentrum eines typisch patriarchalisch-klientelistischen Systems zu machen. In diesem Kontext liefert die institutionelle Schwäche des bolivianischen Staates weder einen Grund zum Wandel noch ist sie ein unvermeidlicher Schritt dazu, sondern sie wird zur notwendigen Bedingung für die Regierung. Aber dann handelt es sich natürlich um eine wenig demokratische und sehr schwache Regierung, die sich immer mehr darauf beschränkt, ihren eigenen Fortbestand zu sichern.

All dies soll nicht heißen, dass Evo Morales die Gelegenheit zu einer Aussöhnung mit der Vergangenheit und zur Ausrichtung Boliviens in eine Zukunft der sozialen Teilhabe und wirtschaftlichen Integration vollständig verpasst hat. Aber die Entmutigung vieler, die ihn aus dieser Hoffnung heraus unterstützt hatten, lässt erkennen, dass er immer weiter davon entfernt ist, sie zu erfüllen. Und, wie mächtig ein Caudillo auch sein mag, er ist niemals völlig Herr seiner Macht. Umso weniger, wenn diese Macht fragmentiert ist.

Este artículo es copia fiel del publicado en la revista Nueva Sociedad , Januar 2007, ISSN: 0251-3552


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