Artículo
NUSO Nº Januar 2009

Zentralamerika: Neue Gefahren oder neue Chancen?

Zusammenfassung | In den letzten Jahren verstärkten die Länder Zentralamerikas ihre Integration in den Weltmarkt, besonders mit der us-Wirtschaft und erlebten eine Phase wirtschaftlicher Prosperität. Obwohl in allen Ländern der Region inzwischen regelmäßig Wahlen stattfinden, bleiben die Bürger misstrauisch, die Kriminalitätsrate steigt und es bestehen weiterhin enorme Defizite in der sozialen Entwicklung. Die globale Wirtschaftskrise hatte damit gravierende Folgen für die stark von der us-Wirtschaft abhängigen Länder Zentralamerikas: Geldüberweisungen von Familienangehörigen, Tourismus und Exporte gingen zurück. Dieser Beitrag vertritt die These, dass die Krise zwar einerseits eine Gefahr für Zentralamerika darstellt, andererseits aber auch Chancen für längst überfällige Reformen, z.B. der Steuersysteme und zur Stärkung des Staates bietet.

Zentralamerika: Neue Gefahren oder neue Chancen?

Einleitung

In den sechs Ländern Zentralamerikas leben insgesamt 43,6 Millionen Mensch-en. Die derzeitige Wirtschaftskrise könnte in allen Ländern der Region zur Zuspitzung der unterschiedlich großen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme führen, deren Wurzeln in einem traditionellen, auf sozialer Ungleichheit und Exklusion breiter Bevölkerungsschichten basierenden Wachstumsmodell zu suchen sind. Es ist jedoch auch möglich, dass die Wirtschaftskrise eine kritische Konjunktur auslöst, die neue Spielregeln ermöglicht. Damit liegt die größte Herausforderung in der Stärkung der Handlungsspielräume des Staates und der Politik.

Die Analyse der gegenwärtigen Situation setzt Kenntnisse der Vorgeschichte der Krise voraus. Daher gibt der erste Teil des Artikels einen kurzen Überblick über die bedeutendsten Ereignisse in der Region von den 90er Jahren bis zum Beginn der globalen Rezession. Im zweiten Abschnitt werden die für die Wirtschaftskrise entscheidenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren untersucht. Abschließend soll dann – vom regionalen wie einzelstaatlichen Kontext ausgehend – versucht werden, eine Antwort auf die im Titel dieses Artikels gestellte Frage zu finden: Bedeutet die Krise Gefahr oder ist sie eine Chance?

Zentralamerika vor der globalen Wirtschaftskrise

Die 90er Jahre: Eine Mischung aus Befriedung, Demokratie und neoliberaler Globalisierung. Die 90er Jahre brachten Zentralamerika die Unterzeichnung von Friedensvereinbarungen und Demokratisierungsprozesse mit jeweils unterschiedlichem Ursprung und unterschiedlichen Resultaten, die aber eine im Vergleich zur Vergangenheit neue gesellschaftlichen Dynamik einleiteten. Die Heterogenität dieses Phänomens macht eine kurze Darstellung der einzelnen Länder.

Guatemala und El Salvador haben bewaffnete Auseinandersetzungen erlebt, die in beiden Ländern zusammen mehr als 300.000 Menschen das Leben kosteten. Die Guerillabewegungen brachten die allgemeine Unzufriedenheit über den Machtmissbrauch der – historisch mit der Agrarexportwirtschaft verbundenen – Eliten zum Ausdruck. Diese bedienten sich der Armee, um mittels Staatsstreichen (Militärdiktaturen), Wahlbetrug und Massakern ein auf quasi-feudalen Verhältnissen begründetes Wirtschaftsmodell aufrecht zu erhalten. Beide Gruppen, die Guerillakämpfer und die (im Staat repräsentierten) wirtschaftlichen Eliten handelten im Kontext des Kalten Krieges. Der Untergang des Sozialismus und das Entstehen einer neuen, unipolaren und weniger kriegerischen Weltordnung zwangen sie dazu, die Beendung der bewaffneten Auseinandersetzung zu verhandeln. Zudem wurde es den Eliten bewusst, dass sie die Demokratie im neuen Kontext der Globalisierung weniger kosten würde als der in El Salvador beinahe 12 Jahre und in Guatemala mehr als 30 Jahre währende Krieg.

Der Untergang des Sozialismus ließ die bereits Zeichen von Ermüdung und Schwäche zeigende Aufstandsbewegung in Guatemala den bitteren Geschmack der Niederlage kosten. In El Salvador dagegen war die Guerilla erfolgreicher und konnte sich so gleichberechtigt an den Verhandlungstisch setzen. Wahrscheinlich dauerten deshalb die Friedensverhandlungen in Guatemala neun Jahre und in El Salvador nur vier.

In Nicaragua entstand der Demokratisierungsprozess aus der Asche der nach ihrer Machtübernahme ziellosen Sandinistischen Revolution. Gründe dafür waren der militärische und wirtschaftliche Druck der USA, aber auch die Inkompetenz und Korruption der sandinistischen Regierung. So ging die Regierung mit den Wahlen 1990 an die liberale Opposition, die in kürzester Zeit die bescheidenen Fortschritte der Revolution rückgängig machte.

Honduras hat ebenso wie El Salvador und Guatemala eine endlose Geschichte von Militärdiktaturen. Jedoch gab es dort keine bewaffnete Auseinandersetzung und zwar vorwiegend aus drei Gründen: Erstens verfolgten die wirtschaftlichen Eliten (Viehzüchter, Kaffeeplantagenbesitzer, Handels- und Industrieunternehmer) nicht unbedingt die gleichen Interessen. Zweitens gab es in Honduras genug Land für alle und somit kaum Konflikte zwischen Agrarelite und landlosen Bauern. Sie erhielten sogar Ländereien im Zuge einer Agrarreform, bei der aus El Salvador stammende Landbesitzer enteignet wurden. Drittens errichteten die USA seit Beginn der 80er Jahre mehrere Marine- und Luftwaffenstützpunkte in Honduras, auf denen Contra-Truppen zur Destabilisierung des sandinistischen Regimes ausgebildet wurden. Die Abfolge von Militärdiktaturen endete 1990, als die USA nach Ende der sandinistischen Regierung in Nicaragua dem Militär die wirtschaftliche und politische Unterstützung entzogen.

In Panama schließlich kehrte die Demokratie Anfang 1990 auf besondere Weise zurück. Dort marschierten die USA mit 24.000 Soldaten in Panama ein, um Manuel Noriega zu entmachten – einen Militärputschisten mit Verbindungen zum Drogenhandel, der das Land in eine tiefe wirtschaftliche und soziale Krise gestürzt hatte. Nach der Invasion übernahm Guillermo Endara die Regierung, der Präsidentschaftskandidat der Opposition in den von der Diktatur nicht anerkannten Wahlen des Jahres 1989. Die Amtsübergabe erfolgte höchst symbolisch auf dem US-amerikanischen Militärstützpunkt Fort Clayton. Der politische Regimewechsel mit offener Intervention der USA garantierte sowohl eine friedliche Wiederherstellung der Institutionen als auch den Ausschluss neuer sozialer Akteure, weshalb sich die beiden etablierten Parteien weiterhin an der Macht abwechselten.

In Costa Rica, der konsolidiertesten – um nicht zu sagen einzigen – Demokratie der Region, führten ein Mangel an neuen Ideen und eine ähnliche Rhetorik der beiden traditionellen Parteien (Liberale und Konservative) zu einem Rückgang der Wahlbeteiligung. Experten sagten daher das baldige Ende des seit den 50er Jahren bestehenden Zweiparteiensystems voraus.

Nicht übersehen werden darf, dass aus dem Übergang zur Demokratie in Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua Regierungen mit autoritären Zügen hervorgingen. Dies wurde darin sichtbar, dass Verhaltensregeln, Gesetze und Regierungsstile beibehalten wurden ebenso wie darin, dass sie generell eindeutig konservative Interessen vertraten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Machtstrukturen nicht ausreichend verändert. Ein Rückfall in eine autoritäre Entwicklung war angesichts der Schwäche der Demokratie also durchaus nicht auszuschließen.

Obwohl sich die von den Ländern eingegangenen Verpflichtungen auf eine volle Achtung der Menschenrechte hinbewegten, verbesserte sich aufgrund der Voraussetzungen für die Demokratisierung und die Art und Weise, in der diese in Angriff genommen wurde, die Achtung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht in gleichem Maße wie die der politischen und Bürgerrechte. Andererseits ist offensichtlich, dass der Demokratisierungsprozess der 90er Jahre weniger von legitimierten demokratischen Akteuren als von Interessenvertretern der Wirtschaftseliten gelenkt wurde. So ließe sich zumindest teilweise erklären, warum strikt neoliberale Maßnahmen, die den Staat schwächten, gerade zu einem Zeitpunkt ergriffen wurden, als dieser eine bedeutendere und strategischere Rolle für die Entwicklung hätte spielen müssen.

Rein wirtschaftlich gesehen waren die 90er Jahre insgesamt eine Phase des Wohlstands. Das hohe Wachstum der Weltwirtschaft, vor allem aber der USA, sowie ein verstärkter Zufluss von Auslandskapital – oft in Verbindung mit der Privatisierung von Staatsbetrieben – waren dafür die wesentlichen Voraussetzungen. Die Regierungen übernahmen gern – und oft mit dogmatischem Fanatismus – die wirtschaftspolitischen Empfehlungen des Washington Konsens – mit dem Argument, sie würden die notwendigen Voraussetzungen zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Region schaffen und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung garantieren.

Die Ineffizienz des Staates führte dazu, dass seine Umstrukturierung in den Ländern Zentralamerikas – mit Ausnahme von Costa Rica – mit dem Ziel erfolgte, seine Rolle als Arbeitgeber und aktiver Politikgestalter zu schwächen. So wurden in den verschiedenen Ländern unterschiedlich intensiv Wechselkurse flexibilisiert, die Wirtschaft nach außen geöffnet und Staatsbetriebe – insbesondere natürliche Monopole wie Stromleitungen, Wasserversorgung und Telefonie – privatisiert. Die Steuerpolitik entfernte sich in der Zwischenzeit noch weiter von den Prinzipien der Steuergleichheit, indem sie eine auf Verbrauchssteuern fußende Steuerstruktur stärkte und die Besteuerung von Kapitalvermögen und -gewinnen verringerte. Zusätzlich wurden zahllose Steueranreize für Investitionen aus dem Ausland geschaffen.

Die neoliberale Globalisierung brachte mehr volkswirtschaftliche Stabilität, führte zur Entstehung neuer Akteure auf den Finanzmärkten und einem stärkeren Handelsaufkommen innerhalb der Region sowie außerdem zum Export nicht-traditioneller landwirtschaftlicher Erzeugnisse und zum Boom der Maquila-Fabriken. Diese wirtschaftlichen Maßnahmen verschärften jedoch insgesamt gesehen die bestehende Spaltung der regionalen Wirtschaft: Einerseits erhielten die Großgrundbesitzer mit den ertragreichsten Ländereien Anreize für den Anbau neuer Exportprodukte und den herkömmlichen Export von Fleisch, Zucker, Kaffee und Bananen. Andererseits wurden die hauptsächlich auf dem Land lebenden, vorwiegend indigenen oder afroamerikanischen Bevölkerungsgruppen mit geringer Produktivität, einem niedrigeren Bildungsniveau und einer schlechteren Gesundheitsversorgung vernachlässigt. Die Zunahme informeller Arbeit kann als Hinweis dafür gelten, dass das Wachstum in Zentralamerika weiterhin nur durch die Anhäufung von Reichtum in den Händen weniger und den Ausschluss breiter Gesellschaftsschichten erreicht werden konnte. Die in den Jahren der bewaffneten Auseinandersetzungen und politischen Instabilität zu einem bedeutenden Phänomen der zentralamerikanischen Gesellschaft gewordene Migration spielte weiterhin eine entscheidende Rolle. Dies gilt besonders für die historisch marginalisierte Bevölkerung, der ein neues Leben in Costa Rica, Mexiko oder den USA als einziger Ausweg bleibt. Daher die große wirtschaftliche Bedeutung der Geldtransfers im Ausland lebender Zentralamerikaner für die Privathaushalte und die Volkswirtschaften in Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua.

Die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts. Trotz des Wechsels von autoritären zu demokratischeren Regimen begann Zentralamerika das 21. Jahrhundert unter der Last einer über lange Zeit angehäuften und teuren sozialen Schuld. Ein besserer Zugang zu Bildung und Gesundheit, die anfängliche Stärkung demokratischer Rechte und Fortschritte bei der Wettbewerbsfähigkeit trafen auf eine allgemeine Unzufriedenheit angesichts fehlender sozialer Aufstiegschancen, die weiterhin ungleiche Einkommensverteilung und die Schwäche der staatlichen Strukturen.

In der Wirtschaftspolitik verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Liberalisierung des Außenhandels. Da es keine Staatsbetriebe mehr zu privatisieren gab, wurden die Unterzeichnung von Handelsabkommen mit strategischen Partnern und eine höhere binnenregionale Integration angestrebt. Dies stand im Einklang mit der Strategie der USA, die versuchten, ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss in den Entwicklungsländern zu erhöhen. Mit dem Freihandelsvertrag zwischen Zentralamerika, der Dominikanischen Republik und den USA (CAFTA-DR) begann die Liberalisierung fast des gesamten Güter- und Dienstleistungshandels ebenso wie die Kapitalfreizügigkeit. Dadurch wurde die Bevorzugung einheimischer Unternehmen bei staatlichen Beschaffungen unmöglich gemacht und für ausländische Unternehmen – einschließlich extraktiver Industrien wie den Bergbau – äußerst vorteilhafte und stabile Rahmenbedingungen geschaffen.

Die internationale Hochkonjunktur und insbesondere das Wachstum der USA ließen die Exporte vor allem in Nicaragua und Honduras steigen und trugen zu vermehrten Deviseneinkünften durch Tourismus und ausländischen Direktinvestitionen (ADI) bei. Die Geldtransfers der im Ausland lebenden Zentralamerikaner stärkten vor allem in El Salvador, Honduras, Nicaragua und Guatemala die Binnenmärkte. In diesen Ländern machten die Überweisungen 2007 zwischen 12% und 21% des BIP aus. Die genannten vier Variablen (Exporte, Tourismus, ausländische Direktinvestitionen und familiäre Geldtransfers) wurden – mit unterschiedlichem Gewicht von Land zu Land – zum Motor des Wirtschaftswachstums in der Region. In allen Fällen vertiefte sich jedoch dadurch die Abhängigkeit Zentralamerikas von der Konjunktur der US-Wirtschaft.

Gleichzeitig machten die Länder Zentralamerikas zögerliche Fortschritte in der Konsolidierung der Demokratie. Zwei Wahlrunden mit Präsidentschafts-, Kommunal- und Parlamentswahlen verliefen transparent. Die einzige Ausnahme waren die 2009 praktisch ohne internationalen Beobachter durchgeführten Kommunalwahlen in Nicaragua, deren Legitimität von der Opposition infrage gestellt wurde. Drei wesentliche Phänomene lassen sich in der zentralamerikanischen Demokratisierung der letzten Jahre beobachten: die Regierungsübernahme durch Parteien mit fortschrittlicher Ideologie und deren Konsolidierung; die geringe Wahlbeteiligung; und Umfragen, die zeigen, dass ein bedeutender Anteil der Bevölkerung immer noch zur Unterstützung autoritärer Regime bereit wäre.

Mit Ausnahme von Honduras wäre ein abschließendes Urteil über Erfolge und Fehler der neuen Regierungen verfrüht. Es können jedoch einige Thesen aufgestellt werden. Auf den ersten Blick sieht es so aus als sei vom Sandinismus in Nicaragua nur noch die Rhetorik übriggeblieben, denn die Sandinisten sperren sich jedem Dialog, ihr Handeln ist wenig transparent und korporative Interessen haben Vorrang vor gesellschaftlichen Bedürfnissen. In Guatemala hat die Regierung Sozialprogramme für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen entwickelt. Jedoch mangelt es ihr an politischem Fingerspitzengefühl und sie schafft keine Entscheidungsinstanzen, in die neue Akteure der Zivilgesellschaft einbezogen werden könnten. Und noch weniger ist es ihr gelungen, politische Bündnisse zu schließen, die Fortschritte bei den ausstehenden Reformen wie z.B. bei der Steuerreform ermöglichen würden. Ganz im Gegenteil: Sie hat Bündnisse mit Vertretern der historischen wirtschaftlichen Eliten des Landes gesucht. Gleichzeitig wurden die Erfolge der Regierung im Parlament vom Kauf von Oppositionsstimmen überschattet. El Salvador ist bisher das beste Beispiel für die Reife der zentralamerikanischen Gesellschaft: Nach 20 Jahren Rechtsregierung ging die Macht auf demokratischem Wege und ohne Zwischenfälle auf die von der ehemaligen Guerilla gegründete Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (Frente Farabundo Martí de Liberación Nacional, FMLN) über. Ihre Agenda sieht den sozialen Dialog zur Diskussion einer Entwicklungsstrategie für El Salvador vor.

Derzeit ist es jedoch Honduras, das den Schlüssel zum Verständnis des neuen Gleichgewichts und der Komplexität der Demokratie in Zentralamerika liefert. Im Juni 2009 putschten das Heer und ein politischer Klüngel, der sein Eigeninteresse kaum hinter dem Vorwand verbergen konnte, über das alte, heute durch Hugo Chavez vertretene Gespenst des Kommunismus besorgt zu sein. Die Opposition im Parlament, zu der auch die Regierungspartei selbst zählt, beobachtete besorgt die guten Beziehungen Zelayas zu den Präsidenten der Bolivarianischen Allianz Amerikas (Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América, ALBA). Dazu kamen Zugeständnisse an die Gewerkschaften (hauptsächlich Lehrer und Ärzte) und die Erhöhung des Mindestlohns inmitten der Wirtschaftskrise. Die Absicht Zelayas, sich erneut zur Wahl zu stellen, trug ebenfalls zum Missmut der politischen Klasse bei. Die Lage in Honduras, d.h. der Versuch politische Konflikte mit einem Staatsstreich zu lösen, ist Grund zur Sorge in der Region. Dennoch hat der starke internationale Konsens gegen den Putsch deutlich gemacht, dass Militäraufstände nicht Teil der Architektur des 21. Jahrhunderts sein werden. Zudem könnte der Fortbestand der Putschregierung gefährdet sein, wenn die internationalen Finanzorganisationen ihr die Türen schließen, denn ca. 35% des öffentlichen Haushalts müssen mit Krediten finanziert werden, die bisher noch nicht gewährt wurden.

Das zweite interessante Phänomen ist die geringe Wahlbeteiligung, die sich zu einem Großteil durch Ernüchterung bei den benachteiligten Gesellschaftsgruppen erklären lässt. Geringe Schulbildung, die Arbeit in der Landwirtschaft, das Leben in ländlichen Gebieten und die Zugehörigkeit zu den ärmsten 20% der Bevölkerung sind, so die Umfragen, weiterhin die Gründe für eine eingeschränkte Ausübung der politischen Rechte. In diesem Zusammenhang ist das dritte Phänomen hervorzuheben, das unsere Aufmerksamkeit verdient: Noch spricht sich ein wesentlicher Anteil der Bevölkerung Zentralamerikas für die Ablösung der Demokratie durch ein autoritäres System aus, vor allem in Panama, Guatemala, Honduras und Nicaragua (siehe Abbildung S. 10).

Eine der Ursachen für die große Unzufriedenheit mit der Demokratie ist die Unsicherheit, mit der sich die zentralamerikanische Gesellschaft konfrontiert sieht. Ihre Ursachen sind im die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößernden Wirtschaftsmodell ebenso zu suchen wie in der immer offensichtlicheren Schwäche der staatlichen Institutionen. Vor diesem Hintergrund wurde Zentralamerika zum Drogenumschlagplatz mit Ziel USA. Wie die Berichte des State Department richtig feststellen, hat der Drogenhandel Eingang in die staatlichen Institutionen der gesamten Region gefunden - wenn auch in jedem Land in anderer Form und Intensität. Hauptproblem ist nicht der Drogenkonsum sondern die Konkurrenz um ihren Vertrieb, durch die es zu Gewaltverbrechen, sicariato (Mord gegen Bezahlung) und illegale Parteien finanzierung kommt.

Ein weiterer entscheidender Faktor für die fehlende Sicherheit sind Jugendbanden (maras), hauptsächlich in Guatemala, El Salvador und Honduras. Diese Gruppen von Jugendlichen, die als Ausdruck von gesellschaftlicher Marginalisierung in den Latinovierteln in den USA entstanden sind, stärkten im Gefängnis ihre gruppeninternen Bindungen wie in einer Schule und übten sich in der Kunst der Gewalt. Nach ihrer Ausweisung nach Zentralamerika fanden sie sich in Gesellschaften wieder, die von der Gewalt des Krieges, der Auflösung der Familienbande durch Migration und vom Mangel an Chancen auf Bildung oder Arbeit geprägt waren. Diese Faktoren waren für den Zulauf neuer Bandenmitglieder entscheidend. Deren Zahl beträgt nach Angaben der Vereinten Nationen insgesamt bereits etwa 69.000.

Sowohl der Drogenhandel als auch die maras sind Ursache und Folge eines geschwächten Rechtsstaats. Nicht nur wegen ihrer Straftaten, sondern auch weil sie die Bürger nach einer schnellen, harten Justiz ohne rechtstaatliche Garantien rufen lassen, die eher von autoritär-militaristischer Sicht als vom Geist der Demokratie inspiriert wird.

Vor diesem Hintergrund breite Bevölkerungsschichten ausschließender Volkswirtschaften, partieller Demokratisierung und wachsender Kriminalität machte sich die Weltwirtschaftskrise in den Ländern Zentralamerikas bemerkbar. Im folgenden werden ihre wesentlichen Folgen und die Antworten der Regierungen in der Region untersucht.

Die Wirtschaftskrise in Zentralamerika

Das Wachstumsmodell der letzten 20 Jahre hat die Verschränkung der zentralamerikanischen Volkswirtschaften mit der US-Wirtschaft verstärkt. Obwohl die wirtschaftliche Öffnung vor allem Costa Rica und Panama neue Handelspartner brachte, hängen Handel, Investitionen, Tourismus und Geldtransfers bisher von der Entwicklung der US-Wirtschaft ab. Für die letzten Monate des Jahres 2008 und die ersten des Jahres 2009 weisen die Statistiken spürbare Einbrüche in allen vier Bereichen aus, deren Auswirkungen sich problemlos an der Zunahme der Arbeitslosigkeit und am Rückgang des privaten Konsums nachvollziehen lassen.

Einige wenige Zahlen machen die Bedeutung der USA für die Region offensichtlich: Honduras und Nicaragua exportieren circa 70% in die Vereinigten Staaten, dabei handelt es sich überwiegend um Textilien und Konfektion. Von den Exportgütern Guatemalas und El Salvadors gehen 50% auf den US-amerikanischen Markt. Die Überweisungen an Familien stellen in Guatemala und Nicaragua beinahe 12%, in El Salvador 21% und in Honduras 18% des BIP dar. 81% der Familienangehörigen, die Geldtransfers nach El Salvador, Guatemala und Honduras leisten, leben in den USA. In Nicaragua kommen die überweisungen daneben auch von in Costa Rica lebenden Migranten.

Costa Rica und Panama sind die beiden Länder Zentralamerikas, die am stärksten von ausländischen Direktinvestitionen abhängen. 2008 betrugen sie 12,706 Mrd. US$, ein Zuwachs von 4,3% gegenüber dem Vorjahr. Da der Fluss der ADI in diesem Zeitraum weltweit um 15% zurückging, ist dies positiv zu bewerten. Costa Rica und Panama sind weiterhin die Länder, die die meisten ADI anziehen – mehr als 75%. Die ausländischen Investitionen in Panama lagen bei 33% und in Costa Rica, Honduras und Nicaragua zwischen 6,3 und 9,9% des BIP, in Guatemala und El Salvador machen sie weniger als 4% aus.

Der Tourismus wiederum ist in den letzten 15 Jahren stark gestiegen. Costa Rica und Panama sind die beiden Länder, die am meisten von diesem Wachstum profitieren. 2007 flossen fast 10,2 Mrd. US$ auf diesem Weg in die Region. In Costa Rica und Panama stellt der Tourismus sechs bzw. 5% des BIP, in El Salvador 4%. In den übrigen Ländern schlug er mit ungefähr 3% zu Buche. Zu vermerken ist auch, dass die Migranten ebenfalls einen bedeutenden Anteil am Tourismus nach El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua haben.

In dieser Situation sollte eine antizyklische Fiskalpolitik betrieben werden. Das bedeutet, dass mit einer ergebnisorientierten Erhöhung der öffentlichen Ausgaben ein positiver Kreislauf geschaffen wird, in dem die Wirtschaft belebt, Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden. Staatliche In-frastrukturmaßnahmen wie Schulen, Gesundheitszentren, Bewässerungskanäle, Kanalisation und Abwasserentsorgung sowie Straßenbau kommen dann den künftigen Generationen zugute. So kann ein akzeptables Wachstum erreicht waren, ohne dass die mittel- und langfristigen Sozial- und Wirtschaftsprojekte und -programme geopfert werden müssen, die für eine vorteilhafte Weltmarktintegration unabdingbar sind. In allen Ländern der Region wurden Krisenpläne ausgearbeitet, deren Schwerpunkt auf einer auf soziale Sicherung, Beibehaltung der Sozialausgaben und Schaffung von Arbeitsplätzen hin orientierten öffentlichen Ausgabenpolitik lag und Wohnungsbau-, Wiederaufforstungs- und Straßenbauprogramme vorsah. In der Praxis stießen die guten Vorsätze jedoch oft auf eine völlig andere Realität, denn nur wenige Länder haben es geschafft, mit einer antizyklischen Fiskalpolitik auf die Krise zu reagieren.

Dieser Widerspruch ist zum einen dadurch bedingt, dass während der Hochkonjunktur keine Steuerreformen umgesetzt wurden, zum anderen durch das Fehlen von politischem Konsens. Dazu muss gesagt werden, dass die Steuerpolitik sich in den letzten Jahren nicht nennenswert verbessert hat. Es fehlt daher ein solider Haushalt, um schwierigen Zeiten wie den aktuellen begegnen zu können. Das Gegenteil ist der Fall: Die vor allem auf Verbrauchssteuern beruhende Steuerstruktur hat 2009 zu einem schnellen und drastischen Rückgang des Steueraufkommens geführt, das im Vergleich zum Vorjahr um nahezu 15% fiel. In Guatemala, El Salvador und Costa Rica bewirken diese Steuerausfälle derzeit eine Unterfinanzierung des Haushalts (Steuerloch) zwischen 25% und 40%.

Nur in El Salvador und Costa Rica wurden wesentliche Schritte zur Finanzierung dieses Defizits durch Verschuldung unternommen. In Guatemala wurde die Initiative, den Haushalt durch Verschuldung zu finanzieren, sowohl in Unternehmerkreisen als auch von der Opposition skeptisch aufgenommen. Schließlich wurde die Ausgabe von Schuldscheinen im Wert von 30% des zu erwartenden Steuerlochs verabschiedet. Nicaragua dagegen hat angesichts der eingeschränkten internen und externen Finanzierungsmöglichkeiten Haushaltskürzungen vorgeschlagen. Die Regierung hat allerdings erste Schritte zu einer Debatte über eine Steuerreform mit Veränderungen bei der Einkommenssteuer unternommen. Das derzeit von einer Putschregierung regierte Honduras schließlich hat wenig Möglichkeiten, externe Finanzierung erhalten, womit absehbar wird, dass es im September oder Oktober nicht einmal die Gehälter im öffentlichen Dienst wird bezahlen können.

Noch gibt es keine seriösen Untersuchungen zur Quantifizierung der sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Frühere Erfahrungen legen jedoch nahe, dass die historisch benachteiligten Gesellschaftsgruppen von der Rezession am unmittelbarsten getroffen werden – insbesondere wenn soziale Maßnahmen reduziert werden. Dazu muss gesagt werden, dass von den 43,6 Millionen Bürgern Zentralamerikas etwa die Hälfte in Armut lebt, 70% keine Sozialversicherung und 25% nicht einmal Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung haben. In Guatemala, Honduras und Nicaragua wird die Hälfte der Todesfälle bei Müttern und Kindern durch vermeidbare, mit Mangelernährung in Zusammenhang stehende Ursachen hervorgerufen. Gerade einmal 30% der Jugendlichen beenden die Primarschule und 2,2 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren arbeiten. Ungefähr 90% der über 60jährigen haben keinerlei Rentenansprüche, was die über dem Landesdurchschnitt liegende Armut im Alter erklärt.

Wird bei den oben erwähnten Daten nach Ländern und innerhalb der Länder unterschieden, zeigt sich, dass die Ungleichheiten in den jüngeren und schwächeren Demokratien, den schwächsten Staaten und den Ländern mit konservativeren Eliten am höchsten sind. Guatemala, Honduras und Nicaragua führen diese Gruppe an, ihnen folgen El Salvador und Panama und schließlich Costa Rica.

Gefahr oder Chance?

Die jüngsten Ereignisse in Zentralamerika zwingen zur Reflexion: Kann die Wirtschaftskrise zu einer Chance für einen tief greifenden Wandel werden? Oder stellt sie eine Bedrohung für die bescheidenen Fortschritte der Demokratie in der Region dar? Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration der Länder Zentralamerikas und ihre Beziehungen zum Rest der Welt legen die Notwendigkeit nahe, über das Geschehene nachzudenken, das darüber entscheiden könnte, ob die Krise genutzt wird oder nicht.

Zuerst müssen die wirtschaftlichen und politischen Vorgänge weltweit und ihre Auswirkungen auf Zentralamerika reflektiert werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit können drei Phänomene identifiziert werden. Das erste ist der allgemeine Wunsch, mit dem Dogma Schluss zu machen, dass der Markt alles löst. Die Wirtschaftskrise zeigt, dass der Staat die sichtbare Hand sein muss, die mittels aktiverer staatlicher Maßnahmen und einer besseren Regulierung kontrolliert, was die «unsichtbare Hand» des Markts tut. Diesen Paradigmenwechsel wird Zentralamerika in dem Maße erreichen, in dem fortschrittliche Parteien mit einer ausreichenden gesellschaftlichen Basis die Macht ausüben. Der zweite, ganz oben auf der globalen Tagesordnung stehende Aspekt ist der offene Kampf gegen die Steueroasen. Die USA und die Länder der OECD haben das Thema mit großer Entschlossenheit wieder aufgenommen, und der Rest der Welt wird gezwungen sein, die Regeln für steuerliche Transparenz zu befolgen. Alle Länder Lateinamerikas werden Änderungen in ihrer Steuerpolitik vornehmen müssen, vor allem bei den direkten Steuern. Daraus wird sich gezwungenermaßen die Aufhebung zahlreicher, gegenwärtig die Finanzkraft der Staaten schmälernden Steuerprivilegien ergeben. Zuletzt muss auf den graduellen Rückgang der internationalen Entwicklungshilfe eingegangen werden. Die internationalen Entwicklungsorganisationen ziehen sich derzeit aus den meisten Ländern Zentralamerikas zurück oder reduzieren ihren finanziellen und personellen Beitrag, was den Demokratisierungsprozess zusätzlich verlangsamen und schwächen wird.

Neben den von außen auf die Region wirkenden Phänomenen gibt es aber auch interne Faktoren, die mit darüber entscheiden werden, ob die Wirtschaftskrise zur Bedrohung oder Chance für Zentralamerika wird. Da ist zum Ersten die regionale Integration als Stütze und Impuls für Demokratie und Wachstum. Politisch gesehen sind die eindeutige Übereinstimmung der Länder Zentralamerikas darüber, dass es sich bei den Ereignissen in Honduras um einen Staatsstreich handelt, und ihr Bemühen um eine friedliche Rückkehr zur Demokratie ein Fortschritt für die demokratische Kultur und eine regionale Vision. Wirtschaftlich gesehen haben die Konzerne unabhängig von ihrer Herkunft begonnen, Zentralamerika als ein Ganzes zu sehen, was indirekt die Unterstützung der Demokratie auf regionaler Ebene fördert. Zum Schluss muss auf den Mangel an politischer Reife bei der Opposition hingewiesen werden. Vor allem in Honduras und Guatemala tragen die Parlamentarier entscheidend dazu bei, alle Ansätze zu untergraben, dass aus der Krise eine Chance wird.

Die Kombination dieser Phänomene macht verschiedene Szenarien denkbar. Im Folgenden werden zwei Extremszenarien in einer Art Schwarz-Weiß-Malerei einander gegenübergestellt, aus denen sich mögliche Grautöne ableiten lassen.

Im optimistischen Szenario kann die Krise als Chance für umfassende Veränderungen gesehen werden. Ein größerer Wohlstand der Bevölkerung, die Konsolidierung der Demokratie und die Verbesserung der Voraussetzungen für den globalen Wettbewerb setzen, wie bereits festgestellt, die Stärkung des Staates sowie aktive und universelle politische Maßnahmen voraus. Um die Bürger Zentralamerikas ins Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung zu stellen, müssen Fortschritte bei der Universalisierung von Bildung, Gesundheitsfürsorge, Justiz und sozialen Leistungen gemacht werden. Die Finanzierung dieses allgemeinen Zugangs zu öffentlichen Gütern setzt wiederum eine tief gehende Reform der Steuersysteme voraus.

Ob dieses Szenario möglich wird, hängt vor allem davon ab, ob die internationale Gemeinschaft den Wandel aktiv begleitet – so wie sie vor Jahren den Friedensprozess unterstützt hat. Dies ist besonders in Guatemala, Honduras und Nicaragua entscheidend, wo es noch an politischer Reife für die Schaffung von mittel- und längerfristigem Konsens mangelt. El Salvador, Costa Rica und Panama dürften diese Begleitung weniger benötigen.

In einem pessimistischen Szenario, in dem die Krise zu einer Bedrohung wird, ist die fehlende Anpassung der Rolle des Staates an die neuen Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft zentral. Der Fortbestand schwacher Staaten ohne Reaktionsfähigkeit auf die Krise vertieft die soziale Kluft. Die zunehmende Präsenz der Drogenmafia und anderer für den Aufbau der Gesellschaft schädlicher Akteure ist absehbar. Die Migration wird weiter das Hauptventil bleiben, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zentralamerika weiter schwächt. Dieses Szenario ist in Costa Rica und Panama, vielleicht auch in El Salvador weniger wahrscheinlich. In den übrigen Ländern drängt sich gegenwärtig jedoch der Eindruck auf, dass es eine mögliche Perspektive für die unmittelbare Zukunft sein könnte.

Bibliographie

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Este artículo es copia fiel del publicado en la revista Nueva Sociedad , Januar 2009, ISSN: 0251-3552


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